Exkurs: Das Radiofeature als medialer Wegbegleiter.

Als journalistische Darstellungsform entfaltet das Feature seine Strahlkraft vor allem immer dann, wenn es sich Themen jenseits der Tagespolitik widmet. Je kompetenter und kreativer die Autoren, desto stärker verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Stilmitteln und münden letztendlich doch in ein ästhetisch ansprechendes sowie informativ hochwertiges Endprodukt. Wobei sich dieser Anspruch keineswegs nur auf das geschriebene Wort bezieht, sondern es kann auch Gültigkeit für das Gesprochene beanspruchen. Folglich gehörte das Radiofeature zu den Stilformen im Journalismus, die mich bereits in frühster Jugend fasziniert haben. Soweit intellektuelle Redlichkeit bei der Recherche gewahrt bleibt, erlaubt es dem Autor sich eher subjektiv einer bestimmten Thematik zu nähern; der Spielraum für individuelle Kreativität ist also ungleich grösser als der, welchen andere Stilformen zulassen würden. Seit meiner frühen Jugend war das Radio, und hier vor allem der Deutschlandfunk, ein täglicher Wegbegleiter, und so erinnere ich mich noch gut daran, dass jeden Dienstag um 19.15 Uhr die Sendung Das Feature über den Äther lief; es war die Zeit, in welcher bestimmte Sendungen den Charakter eines Medienereignisses für sich in Anspruch nehmen konnten. Auch wenn sich mein Hauptaugenmerk heutzutage nicht mehr auf den deutschsprachigen Raum richtet, so verdanke ich dieser Radiostation zweifelsohne die nötige Kompetenz, mich mit relativer Leichtigkeit durch das Dickicht unserer digitalen Medienpluralität zu bewegen.

So gibt es nun Featureproduktionen, welche so tiefgründig recherchiert und einfühlsam produziert worden sind, dass man sie besser unkommentiert auf sich wirken lässt. Der Autorin Rosvita Krausz ist zum wiederholten Male ein solches Kunstwerk gelungen.

Der Prager Frühling

In einem anderen Leben wäre der Deutschlandfunk wohl nicht zwangsläufig zum medialen Kompass meiner frühen Jugend geworden, sondern dieses Privileg hätte wohl eher dem Rias Berlin zugestanden. War ich doch als Kind bestens mit der Jugendwelle des Programms Rias 2 vertraut gewesen, auch wenn es eher kindliche Neugier und der Reiz des Verbotenen war, der mich wie so viele andere meiner Altersgenossen an den Sender band. Mit Politik hatte das in meinem damaligen Alter selbstverständlich nichts zu tun, und als dann meine Begeisterung für Politik und Geschichte sich während der Zeit des Mauerfalls Bahnen zu brechen begann, spielte der Rias als Institution keine allzu bedeutende Rolle mehr. Bis ich über die Sendung Aus den Archiven gestolpert bin war mir nicht bewusst, welche Innovationskraft der Rias in der Deutschen Medienlandschaft entfaltete.

Wenn also in den Archiven so viele KrohnJuwelen des Deutschen Radiojournalismus nur darauf warten als zeitgeschichtliche Tondokumente wiederentdeckt zu werden, dann stellt sich die Frage, warum ich hier auf das Feature Rache für den Prager Frühling von Bedrich Utitz zu sprechen komme. Im Wesentlichen gibt es drei Gründe dafür. Zum einen lässt sich anhand dieser Produktion aufzeigen, wie unterschiedlich sich Autoren einer gegebenen Thematik annähern können. So zeichnet sich das Feature in der Regel durch die Nähe des Autors zu den handelnden Aktören oder den betroffenen Personen aus. Was aber, wenn dieses elementare Prinzip der Featureproduktion aufgrund politischer Gegebenheiten nur schwer oder gar nicht umsetzbar ist, und die Kamera, wenn auch hier im übertragenen Sinne, nicht so dicht an die Betroffenen herangeführt werden kann? Will sagen, dass man wohl getrost davon ausgehen darf, dass Utitz keine Möglichkeit hatte innerhalb der Tschechoslowakei zu recherchieren. Man könnte folglich versucht sein, den Charakter seiner Sendung als Feature infrage stellen zu wollen. Aber grade hier wwird es erst stilistisch so richtig interessant, denn ein Autor seiner Klasse löst diesen scheinbaren Widerspruch zur Gänze auf und verwandelt eine aufgezwungene Schwäche in eine Stärke, indem er das Feature stark essayistisch anreichert und erfolgreich mit einer Vielzahl von Audioeffekten arbeitet. Damit gelingt es Utitz dem Hörer ein eindrucksvolles Hörerlebnis zu verschaffen und das Gefühl zu vermitteln, als befände man sich direkt vor Ort und mitten innerhalb der Schauprozesse selbst. Wenn wir eingangs festgestellt haben, dass ein Feature sowohl ästhetisch ansprechend als auch informativ hochwertig sein sollte, so gehört diese Produktion zu den Eindrucksvollsten, welche mir bis heute bekannt sind. Wenn auch situationsabhängig, so bleiben essayistische Merkmale für die meisten Featureproduktionen unentbehrlich. Desweiteren ist da die Thematik selbst. Obwohl die meisten Deutschen mit dem Prager Frühling etwas verbinden sollten, so sind dessen Nachwehen, also die politischen Säuberungen und Schauprozesse, eher selten so tiefgründig thematisiert worden. Daher hat die Produktion von Utitz auch geschichtlich eine enorme Bedeutung.

Zu guter letzt habe ich einen gewissen familiären Bezug zu den Ereignissen jener Zeit, und sei es nur dem Umstand geschuldet, dass mein Vater als junger Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) im Sommer 1968 an der Grenze zur Tschechoslowakei stationiert gewesen ist. So erzählte er mir oft über seine Eindrücke jener Wochen und Monate. Wie viele andere einfache Soldaten auch, hegte mein Vater grosse Sympathien für den Prager Frühling, und er wurde nie müde zu betonen, wie froh er war, als klar wurde, dass sich die NVA nicht an der Invasion des Landes beteiligen würde. Als angehender Offiziersschüler war man jedoch gut beraten, solche staatsfeindlichen Gedanken für sich zu behalten. Es mutet fast schon etwas ironisch an, dass die staatliche Propaganda der DDR anfangs bestritt, dass die Truppen der NVA zu Hause bleiben mussten. Bis heute sind sich Historiker offenbar nicht völlig einig darüber, warum Moskau die NVA nicht in die Operation selbst einbezogen hatte. Wahrscheinlich ist, dass die jüngere Deutsche Geschichte ausschlaggebend war. Was für die Eitelkeiten der Parteiobersten eine Katastrophe darstellte, wurde von meinem Vater als Segen empfunden. Was ihn an jener Zeit auch faszinierte war der Umstand, dass sich die Soldaten von NVA und Roter Armee auf persönlicher Ebene ausgezeichnet verstanden haben. So waren feuchtfröhliche Zusammenkünfte keine Seltenheit, aber, wie er süffisant anmerkte, ging die Rote Armee immer als Sieger vom Platz. Viele der jüngeren Sowjetsoldaten waren völlig unpolitisch, und sie empfanden die Sommerinvasion als wenig willkommen.

Das Feature: ein Format mit Zukunft?

Da sich aufgrund fortschreitender Digitalisierung und den damit verbundenen neuen ökonomischen Sachzwängen der Journalismus in einer Phase des permanenten Umbruchs befindet, stellt sich die Frage, welche Zukunft das Feature als Textsorte und redaktionelle Beitragsform haben wird. Obgleich die neuen technischen Möglichkeiten dem Feature vermeintlich jede Menge neuer multimedialer Formate ermöglicht, so müssen die Schlüsselqualitäten unangetastet bleiben; doch umfangreiche Recherchen sind langwierig und aufwändig und laufen Gefahr dem Druck Kosten zu rationalisieren zum Opfer zu fallen. Daher ist die Zukunft hochwertiger Featureproduktionen keinesfalls gesichert, doch scheinen grade solche Formate mehr nötig denn je. Ein jeder Journalist sollte nach einem Mindestmass an Objektivität streben, aber reine Fakten müssen in grössere übergeordnete Zusammenhänge eingeordnet werden, und hier kann ein jeder Autor nur bedingt Objektivität für sich in Anspruch nehmen. Hier nun ist das Feature hilfreich, weil es den Autor vom Fetisch der Scheinobjektivität befreit. Das gilt natürlich nur, wenn ein gesundes Mass an Recherche und daraus resultierende inhaltliche Fundiertheit erkennbar ist. Folglich spielt das Verantwortungsethos bei der Produktion eine wesentliche Rolle. Eine gesunde Medienlandschaft zeichnet sich also nicht durch übertriebene und unrealistische Objektivitätsanforderungen aus, sondern sie muss ein Höchstmass an Pluralität gewährleisten. Wünschen wir dem Feature ein langes Leben, denn seine Daseinsberechtigung dürfte unbestreitbar sein.

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