Reformbarkeit digitalisierter Gesellschaften

Geht es um Bestandsaufnahmen, Analysen oder Rezepte zur Bewältigung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verwerfungen im Zeitalter der Digitalisierung und des Überwachungskapitalismus, dann haben diese derzeit Hochkonjunktur. Jenseits von dumpfem Populismus und übersteigertem Nationalismus lassen sich grob gesagt zwei Denkansätze festmachen, die in eher liberalen und linken Kreisen diskutiert werden. So gibt es beispielsweise

Paul Kollier

Und seine Jünger, die offenbar ernsthaft daran glauben, dass die Kellerleiche des sogenannten “Dritten Weges” wiederbelebt werden kann und als ein lebloser, abgenutzter und müder Corps auf die Bühne der Gegenwartspolitik zurückkehren könne. Diese Art von Geschichtsvergessenheit erinnert mich an eine politische Fabel über die Insel der Glückseligen, welche einen auf sie zukommenden Tsunami durch das Anlegen eines einfachen Windschutzes aufhalten wollen, und zudem an der Küste ihre Strandparty feiern, um das Naturschauspiel aus nächster Nähe bewundern zu können. Man muss schon sehr ignorant oder lebensmüde sein, um sich derartigen Illusionen hinzugeben. Hört man den Funktionseliten unserer Gesellschaft zu, so hat man oft den Eindruck, sie wären beides. Die meisten von uns wissen, dass man einen Tsunami nur durch ein effektives Frühwarnsystem entgehen kann, und der Dritte Weg hat selbst hier sträflich versagt. War er doch seinem Wesen nach eine geniale, wenn auch kurzlebige Metamorphose von neoliberaler Praxis und sozialdemokratischer Modernisierungsrhetorik, die der Sozialdemokratie zum Machterwerb tauglich schien. Erinnern wir uns noch Einmal liebe Leserinnen und Leser: Wer hat uns den erodierenden Sozialstaat eingebracht? Der Dritte Weg! Wer war verantwortlich für eine Welle von beispiellosen Privatisierungen von Gemeineigentum? Der Dritte Weg! Wer zeichnet verantwortlich für einen der grössten Billiglohn-Sektoren in der westlichen Welt? Der Dritte Weg! Wer deregulierte hemmungslos und verursachte somit die finanzielle Katastrophe 2008? Der Dritte Weg! Wer erklärte den freien Markt zu einer heiligen Instanz, zu der es keine Alternative gäbe? Der dritte Weg! Wer also hat uns die Suppe eingebrockt, an der sich unsere Gegenwartsgesellschaft nahezu täglich verschluckt? Nichts anderes als der geheiligte Dritte Weg! Wer kann also im Ernst daran glauben wollen, dass diese historisch gescheiterte und politisch diskreditierte Ideologie zu einem Heilsversprechen für unsere Gegenwart verklärt werden kann?

Einen weitaus ambitionierteren und hellsichtigeren Ansatz verfolgt hingegen

Lisa Herzog, die der Politik mit ihren Vorschlägen die Rolle des Gestalters unseres Gemeinwesens zurückgeben will, und die sich vor allem für eine Demokratisierung immer noch stark kapitalistisch geprägter hierarchischer Machtstrukturen im Arbeitsprozess ausspricht. Hier, so meint sie, liegen die wirklichen Chancen der Digitalisierung. Man muss sie politisch erkennen und mit diesen daraus resultierenden Schlüssen das Fundament für eine neue, progressive und sozialdemokratische Programmatik mit globalem Wirkungspotenzial entwickeln.

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